Vom deutschen Kulturimperialismus und dummen Ost-Friesen
Plattdeutsch wird von vielen Menschen als eigentümlicher Dialekt der Ost-Friesen angesehen. Das ist nicht richtig. Plattdeutsch ist vielmehr eine eigene Sprache, die man grob gesagt in die Mitte des Dreiecks aus Deutsch, Englisch und Niederländisch platzieren könnte, da mit allen drei Sprachen Ähnlichkeiten bestehen.
Das ist natürlich in vielerlei Hinsicht nützlich. Plattdeutsch sprechende Ost-Friesen, die in die Niederlande reisen, können sich im Allgemeinen sehr gut mit der dortigen Bevölkerung verständigen, ebenso umgekehrt. Natürlich gibt es Wörter, die sich überhaupt nicht ähneln, aber schon allein der Gleichklang der beiden Sprachmelodien bewirkt manchmal Wunder.
Mit dem Englischen ist es ähnlich. Als Ost-Friesland nach dem zweiten Weltkrieg Teil der britischen Besatzungszone wurde und die Briten den jeverschen Flugplatz für ihre Zwecke in Beschlag nahmen, brachten sie neben dem Fluglärm auch ein wenig Arbeit für die hiesige Bevölkerung mit. Eine der Glücklichen, die in diesen schweren Tagen eine Anstellung als Haushaltshilfe in einer britischen Soldatenfamilie fand und somit ihre Kinder durchbringen konnte, war meine Großmutter. Sie sprach zwar kein Wort Englisch, sondern war nur des Plattdeutschen mächtig, erzählte mir aber noch in meiner Kindheit gerne von den netten Engländern, die ihr Plattdeutsch verstanden so wie sie deren Englisch verstand.
Ein Beispiel ist das einfache Wort was, welches im Englischen und Plattdeutschen die selbe Bedeutung hat, nämlich war (Präteritum von sein). Weiteres schönes Beispiel ist die Klock, auf Deutsch Armbanduhr. Das hat natürlich nicht die selbe Bedeutung, wird aber wegen der Ähnlichkeit der damit verbundenen Begriffe verstanden.
Für viele ältere Ost-Friesen ist Deutsch eine Fremdsprache, für fast alle (besonders im ostfriesischen Teil Ost-Frieslands) nur Zweitsprache, die in der Schule verwendet wird und im Fernsehen und Zeitungen benutzt wird. Auch wenn Hochdeutsch von nahezu allen Ost-Friesen verstanden wird, ist die Umgangssprache aber Plattdeutsch.
Mein Vater ist 1959 geboren, ist also noch gar nicht so alt. Seine ersten Brocken Hochdeutsch lernte er mit sechs Jahren in der Schule, wie fast alle seiner Klassenkameraden, da Unterrichtssprache Hochdeutsch war. Dass dies ein gehöriges Problem für die Lehrer darstellte, vor allem weil sich die Kinder auf Plattdeutsch unterhielten und einigen die hochdeutschen Texte übersetzt werden mussten, versteht sich von selbst. Bis also damit begonnen werden konnte, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, musste vorab also zuerst Hochdeutsch gelernt werden, wodurch viele Schüler erst Monate oder Jahre nach ihren hochdeutschen Altersgenossen ein Themengebiet anschneiden konnten. Da man Wissen in einer Fremdsprache niemals so gut lernen und verstehen kann wie in seiner Muttersprache, bleibt der Ausbildungsstand am Ende der Schulzeit natürlich hinter hochdeutschen Schülern zurück. Vielleicht liegt hier der Ursprung des "Ost-Friesen sind dumm"-Vorurteils. Nichtsdestotrotz hat mein Vater die Kurve noch bekommen und ist seinen Weg gegangen, wenn auch um den Preis seiner Muttersprache. Plattdeutsch benutzt er heute nur noch selten, Hochdeutsch bestimmt seinen Alltag. Vielen Menschen aus der Generation meines Vaters wurde so ein Stück Heimat genommen und durch genormtes Hochdeutsch ersetzt. Deutscher Kulturimperialismus sozusagen...
Ich selber bin zweisprachig aufgewachsen. Meine Eltern haben meist Hochdeutsch mit meiner Schwester und mir geredet, bei meinen Großeltern nebenan wurde nur Plattdeutsch verwendet - auch von meinen Eltern. Selbst wenn Oma und Opa gewollt hätten, viele deutsche Wörter kannten sie einfach nicht. Sie sprachen also nur gebrochenes Deutsch, würde man heute sagen.
Besonders schwierig ist diese Zweisprachigkeit natürlich bei jemandem, der nicht zweisprachig aufgewachsen ist und jetzt hier in engem Kontakt zu älteren Menschen arbeitet. Das Behbie zum Beispiel ist Krankenschwester in einem Krankenhaus in Ostfriesland, in dem oftmals ältere Menschen aus dem allertiefsten Ostfriesland (also da, wo sogar die Ortsschilder zweisprachig sind) behandelt werden. Das Behbie kommt aus Sachsen-Anhalt und spricht somit Hochdeutsch (
Hausaufgabe für meine Leser
Fahren sie in das sachsen-anhaltinische Aschersleben (die Einheimischen dort vertauschen übrigens s und sch und sagen Aserschleben) und lassen sich dort in ein Krankenhaus einliefern. Sprechen sie mit dem Pflegepersonal nur Plattdeutsch.
*) Edit: Das Behbie weist mich grad darauf hin, dass die Menschen in ihrer Heimat ihren Dialekt nicht für Hochdeutsch halten, sondern sich sehr wohl über die Unterschiede im Klaren sind. So musste sich das Behbie bei Besuchen dort verspotten lassen, weil sie Hochdeutsch geredet hat anstatt den dortigen Dialekt zu benutzen.
3 Kommentare:
In den Niederlanden haben die Friesen schon seit Jahrzehnten Fernsehsendungen in der eigenen Sprache. Wenn man dort von Amsterdam über den Damm nach Friesland hineinfährt, ist es als komme man in ein anderes Land.
Im Zuge der europäischen Regionalisierung hätten die "deutschen" Friesen sicher auch eine Chance, ihre eigene Identität besser repräsentiert zu bekommen, wenn sie sich aktiv dafür einsetzen würden. Daran scheint es mir ein wenig zu hapern: Während die Bayern offensive "Vermarktung" des Bayerntums betreiben, boßeln die Friesen lieber unter sich...
Vielleicht sollten die Friesen auch ein wenig mehr ihre Stärken touristisch erschließen und das eine oder andere zur Touristenattraktion aufwerten. Andererseits ist dann natürlich die Frage, ob das nicht den Charakter Frieslands zerstört.
Das ist aber schon seit Jahrhunderten unter den wechselnden Machthabern zu beobachten. Es ist auch nicht die Art der Friesen sich derart einzusetzen. Man nimmt es hin, was einem vorgeschrieben wird, belächelt es und wenn dann etwas völlig absonderliches von ihnen verlangt wird, dann wird es einfach ignoriert. Die Friesen sind kein lautes Volk, das würde auch nicht passen.
Schon klar, aber Deine Beiträge haben so etwas offensives: "Friesland erwache!" oder so. ;-)
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